Spurensuche auf Hessens Friedhöfen

Frankfurt (dpa/lhe) – Ein Meer von Kerzen und Blumen ziert am letzten

Wochenende vor dem ersten Advent die Friedhöfe. Am Totensonntag (26.

November) gedenken Protestanten ihrer verstorbenen Angehörigen,

Freunde und Bekannten und dekorieren deren Gräber.

Bei Spaziergängen auf Friedhöfen im Land lassen sich auch Grabsteine

mit den Namen berühmter Menschen entdecken – manche unvermutet in

Hessen. Eine Spurensuche.

FRANKFURT: Ein schlichtes weißes Marmorkreuz mit goldenen Buchstaben

erinnert auf dem Hauptfriedhof an Pauline Schmidt, die 1856 im Alter

von 15 Jahren starb. Bekannt wurde sie dank der «gar traurigen

Geschichte von Paulinchen und dem Feuerzeug» im «Struwelpeter». Der

Frankfurter Arzt und Schriftsteller Heinrich Hoffmann war mit

Paulines Familie befreundet und setzte dem Mädchen ein literarisches

Denkmal. Zwar soll Pauline als kleines Mädchen gezündelt und dabei

einen Zimmerbrand verursacht haben. Sie starb aber – anders als im

Gedicht – nicht in den Flammen, sondern an den Folgen einer

Typhus-Erkrankung.

Seit den 60-er Jahren lässt die Stadt das Grab als Ehrengrab pflegen.

«Es erfreut sich immer noch einer gewissen Beliebtheit» sagt Stephan

Heldmann, Leiter des Grünflächenamtes. «Paulinchens Grab ist vor

allem bei den älteren Semestern noch gefragt», berichtet der

Stadtführer Björn Wissenbach, der mehrere Themenführungen auf den

Frankfurter Hauptfriedhof anbietet. Übrigens: Auch das Vorbild des

«Zappelphilipp» hat ein Grab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.

MARBURG: Nicht auf dem Friedhof, aber in der
Elisabethkirche in

Marburg fanden der ehemalige Reichspräsident Paul von Hindenburg

(1847-1934) und seine Frau Gertrud (1860-1921) ihre letzte Ruhe.

Unscheinbar sind die Grabplatten am Eingang des Nordturms in einen

Sandsteinsockel der gotischen Kirche eingearbeitet.

Ursprünglich war das Ehepaar 1934 in Ostpreußen, im heutigen Polen,

beigesetzt worden. Aus Angst vor der Roten Armee schaffte das

NS-Regime die Särge zehn Jahre später in ein Salzbergwerk in

Thüringen. Dort wurden sie von den amerikanischen Truppen gefunden

und nach Marburg umgesiedelt. Der Grund: Die Elisabethkirche lag in

der amerikanischen Zone, war protestantisch und für die Amerikaner

von angemessener Würde, wie die Stadt Marburg mitteilt.

Dem Wunsch der amerikanischen Truppen, die Grabstätte neutral zu

halten, kommt die Elisabethkirchengemeinde bis heute nach, erklärt

ein Mitarbeiter. Weder Kerzen noch Blumen zieren das Grab des

ehemaligen Reichspräsidenten. In der Regel sei auch der schlichte

Leuchter an der Grabstädte ausgeschaltet.

WIESBADEN: Der Leichnam Manfred von Richthofens wurde gleich mehrmals

umgebettet, bevor der «Rote Baron» 1975 auf dem Wiesbadener

Südfriedhof seine letzte Ruhe fand. Der Kampfpilot war im Ersten

Weltkrieg am 21. April 1918 über Vaux-sur-Somme in Nordfrankreich von

den Alliierten abgeschossen worden. Er wurde nur 25 Jahre alt.

Von der ursprünglichen Grabstätte im nordfranzösischen Bertangles war

der Leichnam laut
Bundesarchiv 1921 auf einen Friedhof für deutsche

Gefallene in Fricourt umgebettet worden. Vier Jahre später beschloss

die Familie, den Sohn heimzuholen. Richthofen wurde erneut begraben,

diesmal auf dem Invalidenfriedhof in Berlin. Im Jahre 1975 jedoch

wurde er noch mal umgebettet – und ruht seitdem auf dem Familiengrab

in Wiesbaden.

Den Spitznamen bekam Freiherr von Richthofen von seinen Gegnern: In

seinen meist rot gestrichenen Doppel- und Dreideckern soll er mehr

als 80 Flugzeuge vom Himmel geholt haben.

KASSEL: Dass die berühmten Hausmärchen Generationen von Kindern

erfreuten, ist auch ihr Verdienst: Ohne Dorothea Grimm (1755 bis

1808) hätte es die Sammlung von Geschichten nie gegeben. Denn sie war

die Mutter der Märchensammler Wilhelm und Jacob Grimm. Nach ihrem Tod

wurde die Kasselerin in der nordhessischen Stadt auf einem Friedhof

nahe des Zentrums beerdigt.

«Hier ruhet in Gott unsere liebste Mutter» steht auf dem schlichten

Grabstein an der Altstädter Kirche. Darunter folgen viele Namen, denn

Dorothea Grimm hatte neun Kinder. Die Grimm-Mutter ist in einem von

vielen Ehrengräbern der Stadt beigesetzt. «Die Ehrengräber pflegt das

Umwelt- und Gartenamt», sagt Stadtsprecher Michael Schwab.

Dorothea Grimm ist nicht das einzige Familienmitglied, das in Kassel

beerdigt ist: Insgesamt sechs mit den ursprünglichen Grabsteinen

ausgestattete Grimmgräber gibt es. Seit diesem Herbst weisen auch

beschriftete Stelen auf die Ruhestätten hin. Dorothea Grimms

berühmteste Söhne sucht man aber vergeblich. Sie liegen in Berlin.

DARMSTADT: Luise Büchner zählt zu den ersten Frauenrechtlerinnen in

Deutschland. Die jüngere Schwester von Georg Büchner, dem

Revolutionär und wegweisenden Autor des 19. Jahrhunderts, lebte vom

12. Juni 1821 bis zum 28. November 1877 in Darmstadt und ist auch

dort begraben. Obwohl als Mädchen von höherer Schulbildung

ferngehalten, erkämpfte sie sich Anerkennung als Schriftstellerin und

Journalistin.

Sie habe sich für eine gleichwertige Ausbildung von Mädchen und

Jungen sowie für eine qualifizierte Berufsausbildung von Frauen

eingesetzt, sagt Agnes Schmidt (73), die Vorsitzende der
Luise

Büchner-Gesellschaft
. Zusammen mit Prinzessin Alice von Hessen und

bei Rhein (1843-1878) habe sie mehrere Frauenvereine gegründet.

Begraben ist Luise Büchner auf dem Alten Friedhof. Das Ehrengrab

lässt die Stadt Darmstadt pflegen. Dass Büchners Vorname als «Louise»

auf dem Grabstein steht, sollte laut Schmidt nicht wundern. Im 19.

Jahrhundert seien Namen wie «Luise» gerne in der französischen

Fassung mit «ou» geschrieben worden. Büchner habe aber die deutsche

Schreibweise bevorzugt.

Fotocredits: Fabian Sommer

(dpa)