Bangkok – Das neueste Sterne-Restaurant der Welt sieht nicht so aus wie solche Lokale für gewöhnlich aussehen in Paris, Kopenhagen oder Baiersbronn. Ein schlichter Raum, zur Straße hin offen, sieben Tische nur, mit Holzschemeln.
Die Wände sind mit grünen Billigfliesen gekachelt. An der Decke hängen Neonlampen. Dazu mühen sich zwei Ventilatoren, die warme Luft umzuschlagen, ohne großen Erfolg. Die Speisekarten sind in Plastik eingeschweißt.
In Deutschland würde so wahrscheinlich nicht einmal das billigste Thai-Restaurant überleben. In Bangkok aber, im alten Chinesenviertel, hat es das «Jay Fai» soeben als erste der vielgerühmten Straßenküchen von Thailands Hauptstadt zu einem Stern gebracht. Zur Begründung schrieb der Restaurantführer
«Guide Michelin»: «Das «Jay Fai» ist ein Platz, in dem Taxifahrer wie Foodies in Verzückung geraten.»
Obwohl die Konkurrenz in dieser Stadt, die so viel Wert aufs Essen legt, nicht eben klein ist, gab es keinerlei Widerspruch. Das dürfte vor allem an der Besitzerin liegen: Supinya Junsuta, eine kleine Frau von 72 Jahren, die an einer Ecke der Mahachai-Straße schon seit einem halben Jahrhundert am Feuer steht, sechs Tage die Woche, von ein Uhr mittags bis ein Uhr nachts.
In Bangkok ist sie längst Legende. In einem schmucklosen Rahmen an der Wand steckt ein vergilbter Ausschnitt der «Bangkok Post» vom 2. September 1999, in dem sie schon damals als «Mozart der Nudelpfanne» gelobt wird. Andere nennen sie die «Königin der Straßenküche». Allerdings: Thailands nun erste Sterne-Köchin überhaupt ist eine Institution, deren richtigen Namen kaum jemand kennt.
Bekannt ist sie nur unter ihrem Spitznamen, den sie bereits in Kindertagen bekam: Jay Fai eben. Auf deutsch: Schwester Warze. Der Grund dafür findet sich mitten in ihrem Gesicht, links von der Nase. Böse gemeint ist das nicht. In Bangkok frotzelt man gern. Natürlich hätte sie sich das Ding längst wegmachen können. Aber warum?
Auf Äußerlichkeiten legt Jay Fai keinen Wert. Zwar schminkt sie stets die Lippen. Aber auf die Wichtigmacher-Utensilien anderer Spitzenköche (meist männlichen Geschlechts) verzichtet sie völlig. Sie trägt Schürze, Arbeitshose, T-Shirt und Gummistiefel. Sowie, aller Hitze zum Trotz, eine Wollmütze über den Haaren. Und: eine Skibrille. Das hat ihr vor ein paar Jahren der Arzt empfohlen – zum Schutz der Augen, wenn wieder einmal die Funken stieben.
Der Job am offenen Feuer mit den beiden Holzkohletöpfen ist Schwerstarbeit, nicht nur der Hitze wegen. Jay Fai kocht immer allein. Um die Bestellungen kümmert sich ihre Tochter. Dazu hat sie noch vier, fünf Leute für die Vorbereitung der Zutaten und fürs Geschirr. Länger als drei Minuten braucht sie für kein einziges Gericht. Das «Jay Fai» mit seinen etwa 50 Plätzen ist kein Restaurant, in dem man den ganzen Abend verbringt.
Und billig ist es auch nicht – vor allem für Bangkok nicht, wo man auf der Straße auch für ganz wenig Geld gut essen kann. Bei Jay Fai kostet das meistbestellte Gericht 1000 Baht (etwa 25 Euro): Kai-jeaw Poo, ein sensationell gutes Krabbenomelett. Am teuersten ist ein Nudelgericht mit Abalone-Muscheln, das gar nicht auf der Karte steht: umgerechnet 260 Euro. Jay Fai erklärt die Preise damit, dass sie nur beste Zutaten benutzt. Trotzdem kommt es vor, dass Touristen empört davonziehen.
Was aber nichts daran ändert, dass man nur mit Mühe einen Platz bekommt. Auch Mitglieder von Thailands Königshaus und Stars aus Hollywood waren schon zu Besuch. Insgesamt halten sich Thailänder und Ausländer in etwa die Waage. Jay Fai freut das. «Es darf nicht so weit kommen, dass gutes Essen bei uns nur etwas für Ausländer ist.»
Der «Guide Michelin» zeichnete zudem noch mehr als ein Dutzend andere Straßenküchen aus, wo man auch unter zehn Euro bestens essen kann (im «Baan Yai Phad Thai» sogar für einen einzigen). Für sie gab es aber nur den «Bib Gourmand», die Stufe unter dem Stern. Trotzdem wird dies vielfach als Antwort auf Überlegungen der Stadtverwaltung gesehen, einen Großteil von Bangkoks Straßenküchen dichtzumachen. Die Pläne hatten im Frühjahr international große Verwunderung ausgelöst.
Die thailändische Food-Bloggerin Chawadee Nualkhair sieht das Lob denn auch als Ermunterung, so weiterzumachen. «Das zeigt, dass man auf offener Straße genauso gut essen kann wie in klimatisierten Hotels.» Der prominente britische Reiseblogger Richard Barrow meint ebenfalls: «Straßenküche ist genau das, was Bangkok ausmacht.»
Jay Fai kann solchen Debatten nicht allzu viel abgewinnen. «Wir sind nur ein kleines Restaurant an der Ecke», meint sie. «Meine Kunden kommen zu mir, weil ich gute Zutaten verwende. Sie kommen bestimmt nicht wegen des besonderen Ambientes. Denn so etwas haben wir nicht.»
Fotocredits: Christoph Sator
(dpa)